„Erkenne dich selbst!“ lautete schon das Motto des Orakels von Delphi – es handelt sich also nicht gerade um eine neue Weisheit… Worum geht es dabei? Muss ich mich einer tiefenpsychologischen Analyse unterziehen, um zu begreifen, wer ich als Person bin? Nicht wirklich: es geht darum zu erkennen, wer du wirklich bist – jenseits deiner äusseren Person und deiner Biographie.
Ich würde auch eher davon sprechen, dass wir unser höheres Selbst erkennen sollen. Es geht also nicht so sehr darum, dass wir unsere Persönlichkeit in allen Facetten erkunden, sondern darum zu erkennen, dass wir mehr sind als das, was sich als Person manifestiert. Ich unterscheide gerne – in der Tradition vieler Autorinnen und Autoren – zwischen dem äusseren Ich, dem Ego, und dem inneren Ich, dem Selbst. Dieses Selbst äussert sich in der einfachen Formulierung: Ich bin. Das ist nicht zufällig sehr nahe bei der Selbstdefinition von Gott in der jüdisch-christlichen Tradition als der Seiende: ich bin der Seiende (oder sinngemäss in anderen Übersetzungen).

Es ist eine sehr kraftvolle Meditation, wenn du dich beim Ein- und Ausatmen auf diesen einfachen Satz „ich bin“ konzentrierst. Entscheidend ist hier, dass kein Attribut folgt: ich bin nicht dies und das, sondern „ich bin“. Punkt. Wenn du dich dazu als die feine Energie in deinem Körper fühlst und dies als „ich bin“ erkennst, wirst du dich mit Gewissheit glücklich fühlen. Reklamationen für nicht erfüllte Versprechen bitte per Kommentar an mich 😉
Es ist nicht ganz trivial, diese höhere Erkenntnis wirklich zu fühlen und zu verinnerlichen. Manchmal braucht es eine Erschütterung des äusseren Lebens, die uns vor Augen führt, dass die bisher als Ich empfundene äussere Person nicht dein wahres Ich ist. Ich denke, den Moment, in dem man das erkennt, nennt man „Erleuchtung“. Wie ich im letzten Beitrag geschrieben habe, geht es aber nicht darum, dies im aussen zu suchen. Der Weg führt nach innen. Erzwinge es nicht, habe Geduld.
Zum Thema der Selbsterkenntnis kommen mir noch andere Aspekte in den Sinn: ein sehr schönes und machtvolles Konzept ist das innere Kind. In uns lebt das innere Kind als verletzlicher, reiner Teil von uns. Es steht für alle Verletzungen, Kränkungen, Enttäuschungen und für die Machtlosigkeit und gleichzeitig für die unverdorbene Unschuld in uns. Im Buddhismus geht man davon aus, dass dieses innere Kind nicht nur unsere eigenes Wesen, sondern auch jenes unserer Vorfahren verkörpert. Da steckt also sehr viel Schmerz in uns. Wir können diesen nun auflösen, wenn wir uns liebevoll um unser Inneres Kind kümmern. Sehr schön beschreibt das Thich Nath Hanh, unter anderem in seinem Buch „Versöhnung mit dem inneren Kind“. Dieses traurige innere Kind ist oft die Ursache für Trauer und Schmerz in uns. Wenn wir diesen Schmerz erkennen und das kleine Kind in uns ins Herz (oder in die Arme) nehmen, es liebevoll anerkennen und ihm versichern, dass wir uns als Erwachsene jetzt gut um es kümmern werden, kann dieser Schmerz aufgelöst werden. Wir können auf diese Weise sehr alten Schmerz auflösen, auch solchen, der in unserer Familie steckt und unbewusst weitergegeben wurde.
Bei mir hat sich das so geäussert, dass ich erkannt habe, dass das Thema Verlassen Werden bei uns über mehrere Generationen sehr präsent war. Bei mir äusserte sich dies in der Angst vor dem Verlassenwerden oder in der Angst vor Liebesverlust. Ich habe dann erkannt, dass dies ein grosses Familienthema ist: mein Grossvater wuchs als uneheliches Kind ohne Vater bei einer Tante auf, später verliess er meine Grossmutter (oder verstiess sie), wodurch mein Vater mit fünf Jahren seine Mutter praktisch verlor (und sie ihre Kinder) und er von einer Stiefmutter aufgezogen wurde. Mein Vater wiederum verliess die Familie, als ich 15 Jahre war und so weiter. Kein Wunder, hatte das innere Kind in mir diese Verlustängste. Aber wir können uns heute (also im Jetzt) darum kümmern, können das innere Kind trösten und unseren Vorfahren vergeben. Das tun wir nicht nur einmal in einer einmaligen Aktion, sondern regelmässig. Nimm dein inneres Kind mit in die Natur. Du wirst strahlen, wenn du erkennst, wie es sich freut – und damit natürlich du dich freust. Denn ihr seid (natürlich) ein und der/dieselbe.
Das Thema lässt sich noch weiter vertiefen. Im nächsten Beitrag werde ich mich dem Thema das Leben als dein Lehrer widmen, da wird es noch etwas tiefer in die Selbsterkenntnis gehen.
Und es gibt auch einige ältere Beiträge zum Thema:
Der kleine Junge in Dir
Anerkenne Deine Heiligkeit
2 Gedanken zu “Regel Nummer 3: Erkenne dich selbst”