Im Tages-Anzeiger habe ich ein Interview mit Thomas Meyer gelesen, der an einem Buch mit dem Arbeitstitel „Trennt euch!“ arbeitet und meint, dass die meisten Paare nur aus Feigheit zusammenblieben und es für alle besser wäre, wenn sie sich trennen würden. Ich möchte diesen Gedanken aufgreifen und ihn weiterführen: denn eigentlich geht es darum, dass man den Mut findet, etwas Neues zu beginnen. Deshalb sage ich: Trau dich!
Meyers zugespitzte These möchte ich nicht widerlegen, aber ich versuche sie unter dem Gesichtspunkt der Achtsamkeit zu betrachten. Mir ist das ja selbst auch widerfahren: Ich hielt lange an meiner langjährigen Beziehung fest. Es war für mich das Schlimmste, das ich mir vorstellen konnte, wenn diese Beziehung in die Brüche ginge – dachte ich. Und es war schon so, dass ich vor allem Angst vor dem möglichen Verlust hatte. Ich will nicht sagen, dass die Beziehung schlecht war und dass es eigentlich klar war, dass wir uns trennen mussten. Aber aus lauter Angst vor dem Verlust war ich auch nicht bereit zu einer grundsätzlichen Veränderung. Mit jedem Schritt, den sich meine Partnerin fortbewegte, wuchs die Angst. Ich habe es dann geschafft, in einem etwa zweijährigen Prozess mich mit der Tatsache anzufreunden, dass ich es auch alleine schaffen würde. Alleine Wandern hat mir damals sehr geholfen. Zu fühlen, wie gut es mir ganz alleine ging, machte mir Mut und gab mir das Selbstvertrauen, um schliesslich Ja sagen zu können zur Trennung.
Mir und der Mutter meiner Kinder war auch damals klar, dass in unserem Umfeld viel mehr Partnerschaften existierten, die eigentlich lange vor unserer hätten aufgelöst werden müssen. Da gibt es Paare, die einander wirklich krank machen. Es scheint darum zu gehen, dem anderen das Leben zur Hölle zu machen. Eigentlich hält man es nicht mehr aus, muss sich zudröhnen und ablenken, damit man über die Runden kommt. Ausserhalb wird geschimpft und gejammert. Der Körper reagiert auf seine Art – mit Schmerzen, Schlafproblemen, mit Krankheit. Was hält diese Paare davon ab, ehrlich hinzusehen und dann die Konsequenzen zu ziehen? Denn diese selbstgeschaffene Hölle würde sich auflösen. Es lockt die Freiheit und Selbständigkeit. Und doch ziehen viele den Kummer und Schmerz vor.
Für mich hat der Beschluss der Trennung alles verändert – und zwar zum Guten! Und dabei kann ich das Vergangene auch heute ohne Groll würdigen. Diese Beziehung war gut, sie war wunderbar – aber es kam der Moment, an dem wir uns gegenseitig in unserer Entwicklung behinderten. Und genau das ist der Punkt, an dem man sich trauen muss. Wobei die Entscheidung lauten kann, in der Partnerschaft oder getrennt komplett neu zu beginnen.
Ich habe nach der Trennung vieles „verloren“, was mir früher wichtig war. Nicht nur diese Partnerschaft, um die sich jahre-, jahrzehntelang mein (unser) Leben drehte, sondern auch das Familienleben, das Haus (später), viele Gewohnheiten und Sicherheiten. Aber es hat sich gelohnt! Diese Trennung war ein wenig wie sterben – und es ist wichtig, dass wir uns bewusst mit dem Sterben befassen. Ich musste so viel loslassen. Wenn man das mit einem positiven Gefühl tun kann, wenn man es in Dankbarkeit für das, was war, tun kann, dann ist das wunderbar befreiend. Und danach fühlt man sich lebendiger denn je!
Im Nachhinein kann ich also sagen, dass sich dieser Mut gelohnt hat. Wenn du also in einer Situation bist, die dich unglücklich macht, dann erkenne, dass du derjenige bist, der sich unglücklich macht. Du redest dir ein, dass du diese Beziehung oder diese Arbeitsstelle brauchst. Und dass die handfeste Misere besser sei als eine ungewisse Zukunft. Danach droht dein Untergang, der Tod. Diese Angst steckt dahinter und blockiert dich. Anstatt deine innere Schönheit zu fühlen, glaubst du von der Zustimmung anderer abhängig zu sein. So kannst du dein wahres Selbst nicht entfalten. Und das macht dich krank. Dein Körper signalisiert dir damit, dass du dich und deine Lebenssituation ändern musst. Verlasse den Arbeitsplatz, der dich krank macht. Gehe deinen Weg, wenn dich deine Partnerschaft einschnürt und erdrückt. Alles was kommt, ist besser als das. Und wenn nichts kommt, ist auch das besser.
Du denkst vielleicht, ich könne gut reden. Schliesslich geht es mir so gut, in der Liebe und im Beruf. Ja, ich bin dafür dankbar. Ich habe mich auch beruflich für einen Neuanfang entschieden. Eigentlich hatte ich eine super Stelle mit einem sehr schönen Einkommen. Aber ich spürte, dass ich noch etwas anderes tun musste. Dass ich etwas tun wollte, bei dem ich mich freier entfalten und selbständiger wirken konnte. Und dafür habe ich materielle Einbussen in Kauf genommen. Ich kenne einige, die auf einer gut bezahlten Stelle sitzen bleiben, weil sie meinen, sie seien von diesem Einkommen abhängig. Aber sie fühlen eigentlich, dass es sie krank macht. Wenn du in einer solchen Situation steckst: Trau dich! Ziehe die Konsequenzen und öffne dich für das Unbekannte, das hinter der nächsten Biegung deines Lebenswegs auf dich wartet. Es wird besser sein als das, was dich krank macht.