Wanderfreuden

In diesen Sommerferien konnte ich wieder nach Herzenslust wandern. Zunächst verabschiedete ich mich von meinem bisherigen Arbeitsort Chur, indem ich zu Fuss über die Berge in den Kanton Luzern wanderte. Dann war ich eine Woche mit meiner Partnerin unterwegs in den südlichen Schweizer Alpen. Ich will hier nicht auf die einzelnen Touren eingehen. Es gab schon einige sehr beeindruckende Abschnitte, über die ich gerne berichten werde. Und nicht immer war es nur lustig, zum Beispiel wenn man auf 2500m Höhe in ein Gewitter mit Hagel gerät. Aber dazu ein andermal mehr…Auf beiden Touren war ich mit Tarp (Zeltplane), aufblasbarer Matte und Schlafsack unterwegs, um in der freien Natur übernachten zu können. Ein kleiner Kocher und Proviant waren auch dabei. Gegenüber den ersten solchen Touren vor drei Jahren war ich mit weniger Gepäck unterwegs. Zuvor hatte ich einmal die Luxusvariante mit gebuchter Übernachtung und Gepäcktransport (auf dem Walserweg von San Bernardino bis Thusis) gewählt. 2014 dann trug ich alles zum Übernachten und zum Essen mit mir auf dem Alpenpässeweg von Ilanz-Greina-Lukmanier nach Airolo. Mittlerweile ist mein Rucksack leichter, auch wegen der Neckerei meiner Partnerin, die sehr auf möglichst geringes Gewicht bedacht ist. Gut ist, wenn man wirklich alles braucht, was man mitgetragen hat. Das ist mir dieses Jahr nicht schlecht gelungen.

Was macht für mich das Wandern aus? Zum einen geniesse ich es, dass ich Landschaften entdecken kann, die man sonst kaum sehen würde. Wenn ich wandere, sehe ich so viel mehr als jemand, der mit einem Fahrzeug unterwegs ist. Ich gehe langsam und schaue mich um, bewundere Pflanzen, Tiere, Gewässer, Kulturlandschaften  und vieles mehr.

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Val Pontirone vom Giümela-Pass aus gesehen

Ich halte an, um zum Beispiel Beeren zu pflücken und zu essen. Ich trinke Wasser aus Brunnen am Wegrand oder bei Gebäuden und in Dörfern. Der Genuss dieser Schätze bedeutet für mich auch eine gewisse Ehrerweisung gegenüber der Erde. Ich würdige diese Geschenke. Am schönsten ist es, wenn man sich kein Ziel setzt, das einen unter Druck setzt. Dazu dient das Tarp, ein grosses Zelttuch ohne Stangen, das man an einem geeigneten Ort zwischen Bäumen oder auf einer Wiese aufstellen kann. Wenn ich keine Unterkunft gebucht habe, die ich erreichen muss, bin ich viel freier in der Gestaltung meines Wegs. Das Tarp ist übrigens wasserdicht, und es kann zwischen Bäumen oder mit den Wanderstöcken als Zeltstangen aufgestellt werden. Das klappt wunderbar. Allerdings haben wir bei einem Halt das Tarp gleich drei Mal aufgestellt: Zuerst kam ein Wind auf, der uns zu stark schien. Wir zogen um in eine Mulde, doch als wir schon im „Bett“ waren, rüttelte der Wind aus einer anderen Richtung. Da zudem Regen angesagt war, zogen wir in einen Wald um, wo wir dann unter Bäumen ein ruhiges Plätzchen fanden. Flach sollte es sein, windgeschützt und nicht auf einem Ameisennest oder auf einem Wildwechsel oder Weg, so als Praxistipp.

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Tarp aufgestellt bei Rossa (Calancatal)

Wobei ich in der ersten Woche zwei Mal in Häusern übernachtet habe – einmal im Hotel in Flims und einmal in der Alphütte Tschingelen ob Elm. Grund war unter anderem der Regen und beim zweiten Mal auch meine Erschöpfung nach dem Übergang über den Segnespass bei Gewitter, Hagel und Regen. Da war die Hütte auf der Tschingelalp eine wahre Erlösung und die Gerstensuppe ein Festmahl. Auch das darf sein, ich bin da nicht stur und gönne mir auch mal ein weiches Bett und eine Dusche. Apropos Wasser: Es gehört auch dazu, dass ich in Bächen, Flüssen und Seen bade, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt. Das ist  zum einen sehr erfrischend, zum anderen schafft es auch eine Verbindung zu den Elementen und zur Erde.

Bei der zweiten Tour war ich mit meiner Partnerin unterwegs. Wir wollten eigentlich von Airolo aus nach Westen in Richtung Wallis gehen, entschieden uns dann aber für die andere Richtung (Südosten), weil die Wetterprognosen im Norden ziemlich schlecht waren. Es war sehr speziell, weil wir keine Route geplant hatten, sondern uns jeden Tag neu entschieden, wohin die Wanderung weiter gehen sollte. Nach ziemlich verregnetem Tag und ebensolcher Nacht gingen wir vom Lukmanier aus nach Süden in Richtung Bleniotal und Biasca. Ich hatte im Vorfeld einen Bericht über eine Tour ins Val Pontirone gelesen, und wir wagten dann den Übergang durch dieses ziemlich verlassene Tal ins Calancatal. Da man mehr oder weniger auf der schmalen Fahrstrasse wandern müsste, gönnten wir uns ein Taxi, das uns bis ans Ende der geteerten Strasse hoch hinauf ins Val Pontirone brachte. Das war die richtige Entscheidung, denn der Aufstieg auf den Pass Giümela (2117m) war noch streng genug.

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Aufstieg im Val Pontirone

Und als wir dann im Calancatal ankamen, nahmen wir das spontane Angebot meiner Schwester an, in ihrem Rustico im Verzascatal zu übernachten. Doch zuvor machten wir noch eine vermeintlich einfache Wanderung aus dem Calancatal hinaus (von Cauco über Braggio nach Sta Maria), wobei wir letztlich mehr Höhenmeter bewältigten als beim Übergang über den Pass tags zuvor. Das kann dann halt auch passieren, wenn man etwas gar spontan ist… Gerade diese Passwanderungen, wenn man eine Querverbindung zwischen bekannten Tälern schafft, finde ich besonders reizvoll. Es gibt ein völlig neues Verständnis der Landschaft und der Zusammenhänge. Mittlerweile habe ich schon einige Täler in Graubünden und in der Innerschweiz auf diese Weise erkundet.

Natürlich sind wir nach den Touren jeweils müde. Wenn der Weg mühsam ist – zu steil, zu unsicher oder geteert – dann fragt man sich manchmal, weshalb man sich das antut. Ich könnte doch jetzt irgendwo am Strand liegen, an einem Drink nippen und im warmen Wasser schwimmen… Aber die Naturerfahrungen wiegen das schnell wieder auf. Interessanterweise habe ich dieses Jahr kaum wilde Tiere gesehen – ausser vielleicht sogar einen Wolf, aber das ist eine andere Geschichte… Im Bergell sahen wir vor zwei Jahren fast täglich Adler. Dieses Jahr war wohl das Wetter zu wenig gut. In den beiden Wochen gab es keinen völlig sonnigen Tag. Dafür gab es Blumen zu sehen in grosser Vielfalt. Ausser Edelweiss habe ich fast alles gesehen, was das Herz begehrt: Männertreu, Feuerlilie, Orchideen en masse, Enziane und vieles mehr. Und es gab mystische Wälder und skurrile Bäume zu entdecken, Karstlandschaften voller Höhlen und Felsen. All dies kann man nur beim Wandern sehen.

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Mystischer Wald ob Braggio (Calancatal)
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Karstlandschaft mit Alpenrosen beim Lukmanierpass

Und dann gibt es auch immer wieder schöne Begegnungen mit Menschen unterwegs. Wobei wir auf diesen Routen manchmal kaum jemandem begegnen. Aber da war zum Beispiel Maria auf der Tschingelalp, die nur aushilfsweise das Haus hütete und mir Unterschlupf gewährte und eine Gerstensuppe kochte. Oder die älteren Damen, die in Rossa oder in Corippo ein Restaurant führen und froh waren, sich mit uns unterhalten zu können. Natürlich trifft man auch auf schweigsame Älpler und Älplerinnen, die sich in diese einsamen Gegenden zurückgezogen haben.

Jetzt habe ich also zwei Wochen mit insgesamt 220km Wanderung, 8120m Auf- und 9620m Abstieg hinter mir. Natürlich bin ich zunächst mal einfach müde, jedenfalls körperlich. Aber ich bin sehr dankbar dafür, dass ich keinerlei Beschwerden hatte und habe. Füsse, Knie, Hüften, Rücken – alles hat diese Belastung gut ausgehalten. Das ist ein weiteres Element, das ich sehr zu schätzen weiss, diese Körpererfahrung. Und gleichzeitig weiss ich auch, dass dies nicht immer der Fall sein wird. Deshalb geniesse ich es, solange es geht, solange mich meine Beine und Füsse über diese Pässe und durch diese wunderbaren Landschaften tragen.

Neben der körperlichen Anstrengung und Müdigkeit stellt sich aber auch eine geistige Frische ein. Nach zwei Wochen fern von Jubel und Trubel, ohne E-Mail und Telefonate unter einfachen Bedingungen mit Schlafen in der Natur: da sind die Batterien wieder aufgeladen. Noch intensiver wird das, wenn man sich öfters bewusst mit der Natur verbindet. Das kann beim achtsamen Gehen sein oder auch bei einer Meditation. Letzteres habe ich in diesen zwei Wochen eigentlich nicht gemacht. Da müsste ich dann noch zielloser und in kleineren Etappen unterwegs sein, um die Musse fürs Meditieren zu haben. Das geht dann so, dass ich mich z.B. auf einen Stein setze und mich mit der Landschaft (dem See, dem Tal, dem Berg…) verbinde. Wenn ich das so schreibe, wird mir klar, dass ich das beim nächsten Mal öfter machen möchte.

Und worin besteht der Unterschied, wenn ich alleine und wenn ich mit Partnerin wandere? Wenn ich allein unterwegs bin, dann muss ich nur für mich entscheiden – wie weit ich gehen will, welchen Weg ich nehme, wann ich Pause mache, was ich wann esse, wo ich übernachte etc. Wenn wir zu zweit sind, müssen wir, bzw. dürfen wir das alles absprechen. Wir brauchen keine langen Diskussionen, aber es gilt immer, auf die Bedürfnisse und Wünsche von zwei Menschen einzugehen und öfter auch einen Kompromiss zu finden. Das ist dann fast so wie im richtigen Leben. Entsprechend kann ich beides geniessen: Das freie Wandern alleine wie das abgesprochene Wandern zu zweit. Das gemeinsame Erlebnis ist dann auch Nahrung für die Beziehung. Ich bin dankbar, dass ich dies alles mit meiner Partnerin teilen kann.

Ein Gedanke zu “Wanderfreuden

  1. Vielen herzlichen Dank für diese wunderbare Mitteilung einer Selbsterfahrung die viele unserer Mitmenschen nicht teilen können. In Kürze werde ich, allerdings in einer Gruppe, vom Allgäu nach Südtirol unterwegs sein. Das ist eine ganz andere Sache. Sicherlich gesellig aber die Naherfahrung mit der Umgebung, der Natur fehlt dann doch. Die Ablenkung ist einfach zu groß. Sich auf das Minimale an Gepäck zu beschränken ist schon schwer aber es sollte auch für mich möglich sein. Oft hatte ich bis zu 18 kg Gewicht auf dem Rücken. Das Material ist in den letzten Jahrzehnten extrem leicht geworden. Vielleicht mal wieder eine Tour zu zweit in Angriff nehmen. Alleine werde ich es sicher nicht wagen.

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