„Gutmensch“ wurde eben zum Unwort des Jahres erkoren. Begründet wird die Wahl damit, dass mit diesem Begriff Menschen diffamiert und lächerlich gemacht werden, die sich fürs Gute einsetzen und dass er besonders von Rechten als Kampfbegriff gegen Andersdenkende eingesetzt wird. Was steckt dahinter?
Es gab einige negative Kommentare in Verbindung mit dieser Wahl. Wobei, wenn man genauer hinsieht, bezogen sich diese oft auf das Wort an und für sich und nicht auf die Wahl zum Unwort. Somit wären diese KommentatorInnen eigentlich mit der Wahl einig, die das Wort aus unserer Sprache verbannen möchte. Andere Kommentare sind wiederum mit der Wahl nicht einverstanden, weil der Begriff Gutmensch genau jene treffend beschreibe, die naiv und blauäugig vor lautem gutem Tun die negativen Folgen ihrer Aktivitäten nicht sähen. Ich zitiere hier die Definition in Wikipedia:
Gutmensch ist sprachlich eine entweder ironische, sarkastische, gehässige oder verachtende Verdrehung des eigentlichen Wortsinns „guter Mensch“ in eine Verunglimpfung. Der Ausdruck gilt als politisches Schlagwort mit meist abwertend gemeinter Bezeichnung für Einzelpersonen oder Personengruppen („Gutmenschentum“). Diesen wird vom Wortverwender eine Absicht bzw. Eigenschaft des – aus Sicht des Sprechers – übertriebenen „Gutseins“ oder „Gutseinwollens“ unterstellt, wobei diese angebliche Haltung unterschwellig als übermäßig moralisierend und naiv abqualifiziert und verächtlich gemacht wird. In der politischen Rhetorik Konservativer und Rechter wird Gutmensch als Kampfbegriff verwendet.
Der Begriff hat also eine politische Dimension. Er wird gezielt verwendet, um Menschen zu verunglimpfen, die sich für andere und besonders für Schwache einsetzen. Er ist aber auch ein Ausdruck davon, dass es für diese Menschen nicht nachvollziehbar ist, dass sich jemand nicht primär für die eigenen Interessen einsetzt, sondern zunächst an andere denkt, denen es weniger gut geht. Wir können also sagen, dass der Begriff hauptsächlich von egoistischen Menschen verwendet wird. Indem das Verhalten der altruistischen Menschen ins Lächerliche gezogen wird, will man wohl dem Vorwurf entgegentreten oder vorbeugen, dass das eigene Verhalten moralisch verwerflich ist. Denn irgendwo wissen doch eigentlich die meisten Menschen, was moralisch gut und was verwerflich ist.

Aus einem höheren Bewusstsein lässt sich klar erkennen, dass hier das Ego am Werk ist. Das kleine, selbstsüchtige Ich, das um sein Überleben in seiner äusseren Form kämpft. Andere Menschen – seien es Fremde, Andersdenkende oder auch solche, die sich für diese einsetzen – werden da als Bedrohung wahrgenommen. Im Ego lösen diese anderen Menschen oft Angst aus. Das Andere fordert geradezu dazu auf, sich selbst in Frage zu stellen, seine eigene Identität zu überdenken. Die Ängste können ziemlich real oder auch ziemlich absurd sein. Hauptsache, das eigene Ego glaubt ihnen. Eckhart Tolle würde hier wohl vom Schwerzkörper sprechen, der durch das Andere aktiviert wird. Und er beschreibt auch, dass der kollektive Schmerzkörper besonders kräftig ist. In Gruppen mit einzelnen Egos mit ähnlich negativer Schwingung verstärkt er sich. Das kleine Ego bläht sich da gewaltig auf und hält sich dann auch schon mal für „das Volk“. Und die anderen sind dann entweder die Fremden, das Böse an und für sich, oder Gutmenschen, die sich für dieses Fremde einsetzen.
Wenn also jemand einen gutmeinenden Menschen, der sich für Schwache einsetzt, als Gutmenschen bezeichnet, sehen wir in ihm das kleine, ängstliche Ego, das sich selber schützen will. Und nehmen wir das jetzt einfach hin?
Es stellt sich uns ja immer wieder die Frage, ob wir alles hinnehmen müssen, wenn wir das Jetzt so annehmen, wie es ist. Wenn wir Äusserungen und Aktionen anderer nicht bewerten, sondern als das akzeptieren, was ist, macht uns das ruhig. Wir schaffen Frieden, genau da, wo wir jetzt sind. Wenn wir die anderen nicht verurteilen, sondern erkennen, dass sie im Herzen ebenso wie wir Liebe und Friede wünschen, wenn wir uns auch mit diesen Menschen verbunden fühlen und ihre Menschlichkeit anerkennen – mit anderen Worten: wenn wir sie lieben -, sorgen wir für eine bessere Welt (richtige Gutmenschen, eben). Das sollte unsere Haltung sein. So fühlt es sich richtig an.
Aber – genau, jetzt kommt das Aber: wir müssen nicht alles hinnehmen. Es gibt auch das klare Nein. Es gibt Grenzen, die wir als politische und soziale Wesen verteidigen dürfen. Wir können die „Schlechtmenschen“ lieben, aber wir können sie auch klar in die Schranken weisen. Wir dürfen ihnen zuhören, sie als Menschen respektieren – aber wir dürfen anderer Meinung sein und diese öffentlich äussern. Oder eigentlich müssen wir sogar. Wir sind aufgerufen, uns gegen die Vergiftung unserer Welt einzusetzen, gegebenenfalls auch zu kämpfen, möglichst gewaltlos.
Und zum Schluss sind wieder bei uns selbst (wir Gutmenschen)… Es geht schliesslich darum, dass wir genau beobachten, was das Schlechtmenschentum in uns auslöst. Lassen wir uns einschüchtern? Tun wir Dinge nicht, die wir eigentlich tun möchten und von denen wir wissen, dass sie gut und wichtig wären? Wie verhalten wir uns unserem direkten Gegenüber? Urteilen wir und fühlen wir uns etwas Besseres? Ist da unser kleines Ego am Werk, das sich über andere stellt? Fangen wir an zu schimpfen und zu grollen? Oder sind wir eins mit dem Augenblick? Fühlen wir die Not, die im Einzelfall hinter fremdenfeindlichen Äusserungen steckt? Können wir diesen Menschen lieben? Und können wir ihm dann mit einer klaren Haltung, die auf Liebe beruht, entgegentreten?
Und für mich ist klar: ich bin ein Gutmensch. Wenn wir uns nämlich selbst so bezeichnen, nehmen wir diesem Wort die negative Wirkung.