Alle Form ist vergänglich. Das wurde mir dieser Tage wieder deutlich vor Augen geführt, als ich meinen sehr alt gewordenen Vater besuchte. Noch vor fünf Jahren war er topfit und wirkte wie ein eben erst Pensionierter. Doch nun ist beinahe alle Lebenskraft aus ihm gewichen, und er spricht davon, dass er lieber sterben würde.
Der Prozess war schleichend: es begann damit, dass mein Vater bei sportlicher Betätigung schnell ermüdete und Mühe mit Atmen bekundete. Dann wurde die Diagnose Amyloidose gestellt: Eiweissablagerungen schliessen den Herzmuskel immer mehr ein. Das Herz kann nicht mehr richtig pumpen, jede Bewegung wird zur Anstrengung. Mittlerweile schafft er es noch mit Mühe auf einen halbstündigen Spaziergang täglich. Dadurch schrumpfen die Muskeln, und er ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Alles wird zur Qual. Nichts macht mehr Freude.
Ich habe mir vorgenommen, dass ich mich in der hoffentlich noch verbleibenden Zeit etwas mehr um meinen Vater kümmern kann. Es gibt noch ein paar Themen, die wir gemeinsam anschauen können, damit er dann auch wirklich loslassen kann. Das wird in nächster Zeit auch mein Thema sein.
In diesem Blogbeitrag geht es mir aber eher um die Vergänglichkeit, die sich so offensichtlich zeigt – und die uns allen bevorsteht. Unser Körper wird früher oder später verfallen. Bei meinem Vater sehe ich, wie mit der Kraft die ganze Lebensenergie verschwindet. Es ist nicht nur Müdigkeit, die sich breit macht. Nichts will mehr funktionieren. Und auch Blumen am Wegesrand oder ein sonniger Sommermorgen können dann nicht mehr freudig wahrgenommen werden. Und man wird für die Partnerin/den Partner, für die Familie und Freunde zusehends zur Last. Denkt man. Dieses körperliche Vergehen steht früher oder später auch mir bevor. Wenn ich mit meinem Vater vergleiche, wäre das so in knapp 30 Jahren. Was kann ich, was können wir tun, um dieser körperlichen Vergänglichkeit bewusst zu begegnen?
Wir werden nicht automatisch zu vergeistigten Wesen, die sich fröhlich von diesem Körper und dieser Welt verabschieden. Wenn die Kräfte nachlassen, können wir nicht einfach umschalten und sagen, das war nett, jetzt konzentriere ich mich halt auf mein Inneres und auf meine unsterbliche Seele.
Älter Werden ist ein ständiger, unaufhaltsamer Prozess. Wenn wir es verdrängen, wenn wir denken, wir können dem entgehen, laufen wir Gefahr, schliesslich überrumpelt zu werden. Irgendwann werden wir eingeholt. Mein Vater wurde überrumpelt. Er war so lange der fitte Sportler – das war seine Identität. Und plötzlich ist er ein Greis, der kaum noch 100 Meter gehen kann. Wir sollten uns also nicht mit unseren vergänglichen Aspekten identifizieren – weder mit Schönheit, mit Kraft noch mit speziellen Fähigkeiten oder mit bestimmten Tätigkeiten. Dass ich hier vor meinem PC sitzen kann und locker meine Gedanken formuliere und tippe, wird nicht immer möglich sein. Jetzt ist es möglich, und das ist schön so. Es ist ein Weg, wie sich mein unvergängliches Bewusstsein ausdrücken kann. Nächste Woche werde ich mit meiner Partnerin in den Bergen wandern – das ist wunderbar, und ich geniesse es, solange das möglich ist. Aber damit identifizieren darf ich mich nicht – ich bin nicht der Wanderer oder der Männerherz-Blogger. Das ist nur etwas, das ich zur Zeit gerade mache. Das wäre so ungefähr die Haltung, die ich mir vorstelle.
Wichtig ist auch, auf die Signale des Körpers zu hören. Und sie zu akzeptieren. Unser Körper ist unser vergängliches Zuhause. Seien wir dankbar für das, was er leistet. Und wir können über den Körper Zugang zu unserem Selbst finden. Aber wir sind nicht unser Körper. Wir bewohnen ihn nur für eine Weile. Wenn wir achtsam sind, erkennen wir, was er braucht. Wenn wir achtsam sind, tun wir unserem Körper Gutes. Wir ernähren uns vernünftig und bewegen uns genug. Damit halten wir nicht die Vergänglichkeit auf, aber wir fühlen uns länger besser, vermute ich jedenfalls.
Entscheidend ist jedoch, dass wir erkennen, dass wir mehr sind als das Vergängliche. Wenn wir diesen ewigen Kern in uns wahrnehmen, werden wir auch dem allmählichen Verfall unserer sterblichen Hülle achtsam begegnen. Der Rückgang erlaubt etwas anderem zu wachsen. Das Leben zeigt uns den Weg, wir sollten dem nicht Widerstand leisten, sondern die neue Dimension, die sich uns öffnet, dankbar annehmen. Für mich gehört das zum Leben. Der Zyklus sieht vor, dass wir wachsen, unseren Platz im Aussen finden, uns ausdehnen – und nach der Mitte öffnet sich der Weg nach Innen. Wenn wir diesen Weg beschreiten, werden wir mit der Vergänglichkeit unseres Körpers und aller Form bestimmt besser zurecht kommen. Ich hoffe, ich kann meinem Vater noch etwas davon mitgeben.