Der Weg zum Ganzsein

Dieser Beitrag hat einige Zeit gebraucht. Er musste etwas gären, sich entwickeln, sich konkretisieren. Im letzten Jahr habe ich – wie hier im Blog beschrieben – die Manngeburt „gemacht“ (absolviert wäre der falsche Ausdruck). Das war ein sehr intensiver Prozess, der viel in mir bewegt hat. Ich habe es so erlebt, dass sich mir eine weitere Ebene geöffnet hat. Ich versuche nun, dieses Erlebte in Worte zu fassen und auch euch zugänglich zu machen. Im Endeffekt kam ich zur Erkenntnis, dass ich mich auf drei Ebenen geöffnet habe und somit einen grossen Schritt zur Ganzheit gemacht habe. Die drei Ebenen sind der Geist, das Herz und der Körper.

Der Geist

Ich denke, dass es nicht unbedingt üblich ist, wenn man sich zuerst auf der Geistesebene öffnet und einen entsprechenden Entwicklungsschritt macht. Bei mir ist das so geschehen. Und zwar ohne dass ich dafür gross arbeiten musste. Ich hatte ein Erleuchtungserlebnis, als in einer grossen Krise in meiner damaligen langjährigen Beziehung die gesamte Illusion zerbrach, die ich mir von meinem Leben gemacht hatte. Eigentlich hatte meine Partnerin einen Weg aus der Routine der Familie gesucht und sich spirituell weiterentwickelt. Ich war da sehr skeptisch und hatte vor allem Angst, dass die Beziehung zerbricht, dass ich meine Partnerin verliere. Die Bücher, die sie las, fand ich komisch. Sie sprachen mich überhaupt nicht an. Und dann geschah es eines Abends, dass wir ein sehr tiefgehendes Gespräch führten. Schliesslich gestand ich ihr eine Affäre – und als sie dies scheinbar ruhig und offen aufnahm – sah ich in ihr einen ganz neuen Menschen. Ich sah ihre Schönheit und war sehr aufgewühlt. Es schüttelte mich komplett durch. Energiewellen durchströmten meinen Körper, Tränen flossen in Strömen. Ich hatte keine Ahnung, was da mit mir geschah. Noch am selben Abend gestand auch sie mir eine Affäre. Und dann lachten wir. Wir lachten, weil wir die Illusion erkannten, die wir uns gemacht hatten. Wir hätten die Hand für einander ins Feuer gelegt. Und da kapitulierte der Verstand. Er ergab sich und machte dem Bewusstsein Platz.

Am Tag darauf war ich wie in Trance. Ich erlebte alles in nie gekannter Intensität. Ich hatte meine erste Erfahrung mit einer Art Meditation. Ich merkte dabei, dass ich durch ein Tor ging und man sagte mir, ich sei jetzt auf dem richtigen Weg. Da flossen mir die Tränen nur so. Ich erkannte, dass mir etwas zu Teil wurde, wofür andere Jahre lang arbeiten. Ich konnte die ganze Welt umarmen und war glücklich, im Frieden mit mir und der Welt. Es war eine neue Dimension. Als ich am Montag früh mit dem Fahrrad dem Fluss Reuss entlang zur Arbeit fuhr, sah ich all die Schönheit, hörte die Vögel singen. Alles hatte eine solche Intensität und Schönheit! Mein Herz lachte, und meine Augen flossen.

Das war ein Wendepunkt in meinem Leben. Danach war nichts mehr so, wie es vorher war. Die „komischen“ Bücher sprachen mich jetzt direkt an. Ich verschlang sie, dafür sagten mir die Krimis nichts mehr, die ich früher gerne las. Ich suchte Unterstützung und Erklärung und fand sie bei Katharina Vonow, einer spirituellen Lehrerin. Ich begann zu meditieren und mich bewusst mit der geistigen Welt zu befassen. Ich erlebte dieses höhere Bewusstsein und war dankbar für das grosse Geschenk. Und auch wenn ich mich selber weiterentwickeln konnte und das Erlebte verinnerlichen und verstetigen konnte, blieb die Beziehungswelt unsicher. Ich hatte stets die Hoffnung, dass meine Frau und ich den Weg nun gemeinsam gehen könnten, doch diese Hoffnung war einseitig.

Ganz wichtig für die nächsten Schritte war, dass ich allmählich begann, bewusst Dinge für mich allein zu tun. Ich unternahm eine erste zweitägige Wanderung alleine – und fühlte mich grossartig dabei. Schliesslich war ich eine ganze Woche ganz alleine in den Bergen unterwegs. Und ich war einfach nur glücklich. Für mich war es ein Schlüsselerlebnis, das mir zeigte, dass ich eigentlich nichts brauche um glücklich zu sein. Und ich war bereit für den nächsten Schritt.

Das Herz

Seit Monaten hatte sich abgezeichnet, dass wir uns auseinanderlebten. Nachdem ich lange Zeit immer festhalten wollte, begann ich mich mit dem Gedanken zu beschäftigen, dass ich „loslassen“ musste. Auf der erwähnten Wanderung gewann ich Sicherheit und Selbstvertrauen. Nach der ersten Woche, in der ich alleine unterwegs war, stiess ich zur Gruppe meiner Meditationslehrerin, mit der ich schon ein Jahr zuvor eine Alpenüberquerung gemacht hatte. Bei der Gruppe war eine attraktive Frau, mit der ich sehr gute Gespräche führte. Sie hatte ihren Mann und ihre Kinder vor Jahren verlassen und einen Neuanfang gewagt. Das half mir weiter, mich mit dem Gedanken einer Trennung anzufreunden und meine Partnerin zu verstehen. Wir hatten tiefschürfende Gespräche über unsere Vorstellung einer idealen Beziehung. Wir waren uns einig, dass eine gute Mischung von Nähe und Distanz wichtig sei. Mir war wichtig, dass es bei diesem Austausch blieb, denn ich wollte die anstehenden Entscheidungen in meiner Beziehung nicht beeinflussen lassen. Wir trennten uns nach dieser gemeinsamen Wanderwoche und wussten nicht, ob und wann wir uns wieder sehen würden. Jedenfalls ich nicht (Frauen wissen das einfach besser…).

Meine Partnerin war auch  zwei Wochen alleine in den Ferien und kam am selben Samstag wie ich nach Hause. Am nächsten Tag war uns klar, dass eine Entscheidung getroffen werden musste. Ich war früher aufgestanden und hatte einen Brief verfasst, in dem ich meiner Partnerin einen Antrag machte. Ich war bereit, komplett neu anzufangen – aber nur, wenn ich klar die Nummer eins in ihrem Leben sei. Sie konnte dazu nicht ja sagen. Und so kam es, dass wir uns – auf unserer Gartenterrasse bei schönstem Sommerwetter – einigten, dass es das Beste sei, wenn wir uns trennten. Wir gaben uns die Hand darauf – und dann schüttelte es mich wieder durch, wie es zwei Jahre zuvor geschehen war. Energiewellen durchströmten meinen Körper, es war als ob ein Ring um mein Herz zerbarst. Als ich langsam wieder zu mir kam, fühlte es sich an, also ob meine Hülle aufgelöst war. Ich war in einer komplett anderen Dimension und sah alles, erkannte alles.

Meine Partnerin nahm das staunend zur Kenntnis. Da trennen wir uns, und der Partner macht Luftsprünge. Als ich dem Gefühl nachging, kam „Freiheit“. Ich konnte es in dem Moment noch nicht richtig einschätzen. Später erkannte ich, dass ich mich von Ängsten befreit hatte und auch von Abhängigkeit.

Wir sprachen am folgenden Tag nochmals und versicherten uns, dass die Trennung richtig sei. Schon am nächsten Tag hielt es meine Partnerin nicht mehr aus und zog zu ihrer Schwester. Und da war noch ein Erlebnis, das mir wichtig scheint: am selben Abend ging ich an ein Musikfestival in Luzern, das Blue Balls. Ein Kollege hatte noch ein Ticket fürs Konzert, das ich ihm spontan abkaufte. Nach dem Konzert hängten wir noch in der lauen Sommernacht ab – ich genoss es, dass niemand auf mich wartete und ich frei war. Eine junge, schöne, blonde Frau setzte sich neben mich und wir begannen zu reden. Sie erzählte davon, wie sie in einem Ashram gewesen war, was mich ziemlich erstaunte. Dann sagte ich, dass ich mich eben getrennt hätte und dass ich jetzt Zeit brauchte für mich und um mir klar zu werden, was ich eigentlich wollte. Da lachte sie mich aus und meinte, ob ich spinne. „Zeit ist eine Illusion – und du könntest morgen schon tot sein! Du brauchst keine Zeit!“ Ich verstand die Botschaft dieses Engels: Ich brauchte keine physische Zeit, ich musste nur achtsam sein, damit ich nicht aus einer Beziehung in die nächste stolperte und sich die alten Muster wiederholten. Und so kam es, dass ich mich schon am Wochenende mit der attraktiven Frau von der Alpenüberquerung traf. Und ja, wir kamen uns bald näher. Genauso, wie wir es damals bei einer Wanderung besprochen hatten – in einer schönen Mischung aus Verbindlichkeit und Eigenständigkeit. Wir leben unser Leben je einzeln, sind aber auch gerne und intensiv zusammen. Die alten Muster der Ängste, der Verlustangst, des Klammerns etc. sind verschwunden.

Die neue Partnerin brachte eine neue Energie in mein Leben. Sie lebt ihre Weiblichkeit und fordert mich immer wieder, meine Männlichkeit zu leben. Und lustig, wenn ich mich daran erinnere: Bei unser allerersten Begegnung sagte meine spirituelle Lehrerin zu dieser mir damals noch unbekannten Frau, sie sei eine Königin (gewesen). Das scheint mir wichtig, für die folgende Entwicklung – sowohl meiner Partnerin wie auch von mir.

Der Körper

Wir haben uns beide auf unserem Weg seither weiterentwickelt. Wir haben einige Seminare gemeinsam besucht. Meine Partnerin hat eine Visionssuche unternommen und sich zum seelenzentrierten Coach ausbilden lassen. Ich habe mit dem Blog Männerherz begonnen, weil ich „etwas für Männer tun“ wollte. Meine Partnerin ist eine treue Leserin meiner Beiträge und gibt mir viel positives Feedback. Manchmal sagte sie aber, es sei ja schön und gut über Dinge zu lesen, man müsse sie aber auch tun. Oder sie meinte, das sei leicht gesagt, aber man müsse es auch leben. Ich habe diese Aussagen nicht richtig verstanden, kann ich aus heutiger Perspektive sagen. Mir hatte sich der Geist für das höhere Bewusstsein geöffnet und später das Herz für eine freie Beziehung. Noch fehlte mir etwas, das ich aber nicht benennen konnte.

Mein Blog machte mir Freude und gab mir gute Rückmeldungen. Doch dann kam der Gedanke hoch, dass ich auch mal etwas „Richtiges“ tun wollte. Ich sprach mit einem Kollegen, mit dem ich einmal etwas mit Männern unternehmen wollte. Doch das kam nicht zustande. Bis sich dann Hannes von Männerwelten bei mir meldete. Er fragte mich, ob ich für die kommende Manngeburt Schweiz Werbung machen möchte. Manngeburt? Das kam mir ziemlich krass vor, aber ich schlug vor, dass wir uns einmal treffen und er mir erzählen sollte, was das hiess. Ich fand den Ansatz von Stefan Wolff sehr spannend und empfahl die Manngeburt in meinem Blog. Nur um im selben Atemzug zu merken, dass diese Manngeburt genau für mich war. Ich klärte die Daten und sagte spontan zu. Da war eine Gewissheit, dass das für mich wichtig war.

Heute kann ich sagen, dass es wieder so ein Geschenk des Himmels oder des Lebens war. Und ich bin dankbar, dass ich es erkennen und annehmen durfte. Ich habe in diesem Blog schon einiges über die Manngeburt geschrieben. Über die Archetypen, mit denen wir gearbeitet haben, über die Schwitzhütten und die Gemeinschaft unter Männern, die so stark wirkt. Da ist viel in Bewegung gekommen. Es wurde Verborgenes ans Licht gebracht. Ich konnte Aspekte erleben, die ich so nicht an mir gekannt habe. Ich durfte den König wecken und den Krieger leben. Und dann kam zum Abschluss die Visionssuche. Vier Tage und vier Nächte alleine draussen in der toskanischen Wildnis ohne zu essen und ohne jegliche Ablenkung. Und es kam die letzte Nacht, die Wachnacht. Wir mussten sie stehend oder sitzend in einem sog. „purpose circle“ (Zielkreis) durchwachen. Die vier Tage zuvor waren voll easy. Es war herrlich, in der wärmenden Herbstsonne zu liegen. Nichts zu essen war eine schöne Erfahrung. Und dann kam diese Nacht. Es war kalt. Es war endlos. Ich fühlte mich wie in einem dunklen Tunnel gefangen. Keinen klaren Gedanken konnte ich fassen. Es war alles sinnlos. Dachte ich. Doch in dieser endlosen kalten Nacht, müde und ohne Energiereserven, da wurde der Mann geboren, tanzend und singend. Der Liebhaber-Magier-König-Krieger, der Wilde Mann, der ganze Mann. Da wurde der zuvor geknetete und geformte Ton zu einer festen Form gebrannt.

Als wir uns dann im Kreis die Geschichten unserer Visionssuche erzählten, war ein Mann dabei, der wie energielos blieb. Er war im Geist geöffnet, aber nicht geerdet. Mit der Kraft der Gruppe gelang es, ihm diesen Kanal zu öffnen. Und das war auch für mich das Entscheidende: Nach dem Geist und dem Herz wurde mir nun auch die Dimension des Körpers geöffnet. Ich in meinem Körper, als Mann, verbunden mit der Erde, mit beiden Füssen im Leben stehend. Das kann man sich nicht anlesen, das kann man vermutlich nicht über reine Meditation erreichen. Das muss man erlebt, erfühlt und erlitten haben.

Das ist für mich der Kern dessen, was mir in der Manngeburt widerfahren ist. Ich bin mir sicher, dass jeder der 12 Männer es anders erlebt hat. Jeder hat das erhalten, was für ihn in seiner Entwicklung gerade wichtig ist. Für mich war es die Erdung.

Und in meiner Beziehung fühle ich jetzt den König in mir, der seiner Königin ein Partner auf Augenhöhe sein kann. Und auch der Krieger und der Liebhaber dürfen sich immer wieder zeigen.

So viel zu meinem Erlebnis der drei Stufen der Befreiung. In einem nächsten Beitrag versuche ich das Ganze noch aus einer allgemeineren Perspektive zu betrachten.

3 Gedanken zu “Der Weg zum Ganzsein

  1. Eine wunderbare Geschichte , die zeigt das Loslassen eine befreiende positive Wirkung hat . Eine neue Partnerschaft bedeutet auch neue Wege zu gehen , und nicht die alten Muster zu integrieren. Dadurch kann diese Partnerschaft erst eine neue besondere Ebene erfahren .
    Liebe Grüße Mona

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