Mission erfüllt: der Mann ist geboren

Ja, wenn es so einfach wäre… Aber Tatsache ist, dass wir 12 Männer mit der Visionssuche in der Toskana unsere Manngeburt abgeschlossen haben. Vorläufig jedenfalls. Wir sind gut vorbereitet in eine viertägige Auszeit gegangen, waren allein in der Wildnis ohne zu essen und ohne jegliche Ablenkungen und sind wieder ins Leben zurückgekehrt. Wenn ich hier im Blog darüber berichte, bin ich sehr achtsam und respektvoll gegenüber den grossen Dingen, die da in jedem von uns geschehen sind. Entsprechend gibt es keine Details zu  unseren inneren Prozessen, sondern nur Erläuterungen zum Rahmen und zur Wirkung dieser Visionssuche. Und ich sage es ganz offen: mein Ziel ist es dabei, euch Männern nahezulegen, sich in dieser oder einer ähnlichen Form mit seinem Innersten zu beschäftigen, an den Kern seiner Persönlichkeit vorzudringen und alte Wunden zu heilen. Denn Wahre Erwachsene braucht unsere Welt! 

Zunächst zum Ablauf der Visionssuche als Abschluss der Manngeburt: Wir hatten uns also an sechs Wochenenden intensiv mit den vier Archetypen uns ihren Ausprägungen befasst. Das waren keine Diskussionsrunden und keine Kopfarbeit, sondern intensive körperlich-emotionale Arbeit. Wir haben die Archetypen erlebt und gefühlt und uns als Gemeinschaft dabei enorm unterstützt. Da ist vieles in Bewegung geraten, was vorher unbewusst und verschüttet oder verdrängt war. Nach dem letzten Seminar hatten wir dann den Auftrag, in einer Medizinwanderung mit der Motivation für die Visionssuche unterwegs zu sein. Das bedeutet, dass man mit der Frage im Gepäck ohne zu essen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang unterwegs ist – gehend, rastend, sitzend – und achtsam das aufnimmt, was innen und aussen geschieht.

Diese Eindrücke wurden dann im ersten Teil der Visionssuche in einem wunderschönen Seminarhaus bei Poppi (Casanova in Quorle) in Form einer Geschichte der Runde mitgeteilt und von dieser gespiegelt. Aus der Geschichte über die Medizinwanderung wurde so das Thema für die Visionssuche herausdestilliert. Dies mündete in einem Bestimmungssatz, der quasi das tiefere Motto für die Auszeit bedeutet.

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Sonnenaufgang über den Toskanischen Bergen

Zur Vorbereitung gehörte auch noch eine kürzere Nachtwanderung (silent night walk). Wir hatten die Aufgabe, als Gruppe unter der Führung einer der Männer loszugehen in die Dunkelheit und dann alleine zurückzukehren, wenn es Zeit für einen war. Als ich als einer der letzten umkehrte, wählte ich unterwegs eine falsche Abzweigung und verirrte mich. Schliesslich kam ich 10 Minuten zu spät zurück ins Camp, gerade als sich ein erster Suchtrupp aufgemacht hatte. Ich entschuldigte mich für mein Zuspätkommen und wunderte mich zugleich, weshalb mir das passiert war, da ich mich eigentlich nie verirre. Als es am nächsten Tag darum ging, sich einen Platz für die Auszeit zu suchen, war für mich klar, dass ich diesen „falschen“ Weg suchen und dort meinen Platz finden wollte. Ich fand dann tatsächlich meinen Platz unter einer kleineren Eiche am Rande einer von Ginster bewachsenen Lichtung. Hier würde ich den Mond und die Sonne sehen und gleichzeitig von den Ästen der Eiche geschützt sein.

Am Abend wurden dann noch die „Buddies“ zugeteilt: Jeder erhielt einen Buddy, mit dem er einen Briefkasten einrichten sollte. In einen Steinkreis legt jeweils der eine am Vormittag, der andere am Nachmittag einen Stein oder anderen Gegenstand, damit der Buddy sieht, dass beim anderen alles in Ordnung ist. Fehlt ein Stein, muss man das Basecamp alarmieren. Mein Buddy und ich waren sehr weit auseinander, was bedeutete, dass ich jeweils einen zirka 30-minütigen Morgenspaziergang machen durfte.

Und dann wurden wir am Montagmorgen vor Sonnenaufgang geweckt, packten unsere Sachen (inklusive genügend Trinkwasser für die vier Tage) und wurden in einer Zeremonie verabschiedet. So wie man packt, sei man im Leben unterwegs, hiess es. Da konnte ich mit Genugtuung feststellen, dass ich gut gepackt hatte und nicht viel Ballast mit mir rumschleppte. Beim Einrichten des Briefkastens mit meinem Buddy passierte es mir wieder, dass ich den Zugang zu meinem Platz aus der anderen Richtung nicht fand und dass wir viel zu weit gingen. Also: ich durfte auch meine Orientierung zurücklassen, was seinen tieferen Sinn hatte. Es ist ein wichtiger Teil der Visionssuche, dass man die gewohnte Umgebung und seine Routinen zurücklässt uns ins Unbekannte aufbricht. Bei uns hiess das: eine unbekannte Gegend mit Wildschweinen und Wölfen mitten in der Jagdsaison.

Und dann richtete ich mich an meinem Platz ein: für den Notfall (also bei Regen) installierte ich das Tarp. Schlafen wollte ich unter freiem Himmel, und dafür rollte ich meine Isomatte aus. Jetzt begannen die langen Tage und Nächte ohne Ablenkung: keine Gespräche, keine Routinen wie Kochen oder Essen, keine Armbanduhr, natürlich kein Handy, kein Tagesrhythmus ausser dem Sonnenaufgang und -untergang sowie dem Mond, der in der dritten Nacht zum Vollmond wurde. Einfach da sein, einfach sitzen, liegen und ein paar Schritte gehen. Wenn es dunkel wird, wird der Schlafsack ausgebreitet und dann sucht man mit Blick auf Mond und Sterne den Schlaf. Hört auf die Geräusche. Dank meiner Outdoor-Aktivitäten war ich gut ausgerüstet. Aber allzu viel schlafen konnte ich nicht. Tierische Besuche gab es bei mir nicht, obschon Spuren von Wildschweinen und Rehen zu sehen waren. Andere erlebten vorbeigaloppierende Wildschweine und heulende Wölfe. Ab dem zweiten Tag war das Wetter mild und sonnig, und ich konnte mich von der lieblichen Herbstonne bescheinen und wärmen lassen. Ich hatte zudem einen Stein oberhalb meines Platzes entdeckt, auf dem ich einen schönen Überblick über das Tal hatte, den Sonnenaufgang betrachten und am Abend zwei Stunden länger die Abendsonne geniessen konnte. Ich fand, mir stehe ein solch erweitertes Revier zu.

Nichts zu essen war kein grösseres Thema. Ich denke, da war so viel Kriegerenergie aktiviert, dass es keinen Zweifel daran gab, dass ich das durchziehen und durchstehen würde. Auf der körperlichen und mentalen Ebene erinnerte mich dies an einen Marathon und früheres Lauftraining, bei dem ich auch mehrmals einen „Hammermann“ erlebte, wenn die Kohlenhydratreserven aufgebraucht sind. Es geht weiter, aber man muss es etwas ruhiger angehen. Das galt vor allem für meine täglichen Spaziergänge zum Briefkasten, die jedesmal etwas länger dauerten.

Was ich genau erlebte und wie es mir erging, werde ich hier nicht berichten. Das ist zu intim, zu tiefgehend und ist ein grosser Schatz, den ich sehr achtsam hüte. Ich kann aber sagen, dass die vier Tage für mich sehr gut vorübergingen mit wichtigen Erkenntnissen, was ich in meinem Leben wirklich will und was mir wichtig ist. Und dann kam diese letzte Nacht, die Wachnacht. Zunächst sollten wir ein Sterberitual duchführen, uns aufs Sterbebett legen und schauen, wer da kommt und was da geschieht. Und danach sollten wir direkt in unseren „purpose circle“, einen engen Kreis, den wir zuvor mit Naturmaterialien gebildet hatten, in dem wir nicht liegen, sondern sitzen und stehen sollten. Die ganze Nacht hindurch. Und das war dann wirklich hart. Diese Nacht wollte nicht enden, es war saukalt – und ich konnte irgendwie keinen vernünftigen Gedanken fassen. Ausser, dass ich da jetzt einfach durch musste. Wie durch den Geburtskanal bei einer Geburt. Sitzen war furchtbar unbequem, also bin ich fast die ganze Nacht gestanden, aufgestützt auf einen Stab (wie ein Hirtenstab), den ich mir zuvor geschnitzt hatte. Und immer wieder klopfte ich einen Rhythmus auf den Boden und ging ein paar tänzelnde Schritte in meinem kleinen Kreis herum, sang einige unserer Lieder (mother I feel you under my feet, mother I hear your heartbeat! Heya, heya, heya, heya, heya-heyho usw.) . Und irgendwann, als ich schon längst in Zeit und Raum verloren schien, war es dann doch so weit: Ich konnte die Farben an meiner Kleidung erkennen. Und das bedeutete, dass Sonnenaufgang war und ich durch war! Der Mann war geboren! Ich jubelte, packte meine Sachen, verabschiedete mich vom Platz und zog los, zurück zum Haus. Hier wurden wir rituell begrüsst und konnten unsere zurückkehrenden Freunde in Empfang nehmen. Die Gesichter sprachen Bände: leuchtende Augen überall. Erleichterung und Freude.

Stefan Wolff erklärte, dass nun die Inkorporierung sehr wichtig sei. Wir waren da draussen komplett offen für alles, das muss jetzt wieder geschlossen werden. Der erste Schritt war der Gang in die Sauna, dann der Sprung in den kalten Pool und danach ein erstes Essen. Nach einem kurzen Schlaf und einem zweiten Frühstück ging es dann an die Spiegelung der Geschichten der Visionssuche. Wow! Das war so bewegend, so berührend und so unglaublich kraftvoll! Was da alles bei uns in Gang gekommen ist! Mit einem Bild von Stefan: wir waren da mit dem Bagger am Umschichten und am Aufreissen von Gräben. Wir sind tief in den Keller unseres Seins gestiegen und haben unsere Themen an der Wurzel gepackt. Die Essenz unserer Geschichten fasste Stefan meisterhaft in seiner Spiegelung zusammen. So wurde jedem ein wunderbares Geschenkpaket geschnürt, mit dem er nun in den Alltag geht. Und schliesslich erhielten wir auch noch einen Medizinnamen, der wiederum die Essenz unserer Visionssuche enthält, und der uns auf unserem weiteren Weg als Medizin dienen wird. Wir rechnen nun damit, dass die angestossenen Prozesse ein Jahr benötigen, um wirklich verinnerlicht zu werden. Dann ist ein weiteres Ritual vorgesehen, um diesen Raum wirklich zu schliessen.

Was hat das Ganze so kraftvoll gemacht? Ich sehe hier zum einen die Kraft des Rituals: Es gibt einen geschützten Rahmen, der so viel zulässt, ohne dass es für den Einzelnen zu viel wird. Dieser Rahmen wird gehalten von Stefan Wolff, seinen Assistenten und von der Gruppe. Dies ist ein weiterer Aspekt: die Kraft der Gemeinschaft. Sie ist unbeschreiblich. Wir wurden an diesen Wochenenden und in der Visionssuche zu tief verbundenen Freunden oder Brüdern. Und wir wollen diese Verbundenheit auch jetzt und in Zukunft nutzen, um uns bei der Umsetzung unserer Visionen und beim Weiterführen unserer Prozesse zu unterstützen. Denn zu Ende sind diese nicht, werden es nie sein. Aber wir haben nun das Rüstzeug und die Basis, um zu erkennen, was uns das Leben lernen will und wie wir damit zu unserem und unser aller Nutzen umgehen können.

Ich wünsche mir für jeden Mann, dass er diese Erfahrung und damit einen grossen Schritt zu seiner Ganzwerdung machen kann. Ich sage bewusst und überzeugt, dass es für jeden Mann wichtig ist. Viele kommen auf die Manngeburt, weil sie irgendwo anstehen im Leben, aus einer Krise heraus. Und sie fühlen, dass da etwas ist, dem sie an die Wurzel gehen wollen. Der Leidensdruck hilft bestimmt dabei, wirklich am Ball zu bleiben und den ganzen Prozess durchzustehen. Ich für mich kann sagen, dass ich mich nicht in einer Krise befand, sondern dass ich merkte, dass da noch etwas ist. Es lockte mich der Ruf der Seele nach Ganzwerdung. Auch wenn es mir sehr gut ging, fühlte ich, dass das nicht alles ist. Ich schöpfe noch nicht mein volles Potential aus. Es gibt dunkle Ecken in meinem Keller, die ich noch nie ausgeleuchtet hatte. Da war zwar alles ruhig, aber da war was. Und dem bin ich jetzt mit Hilfe der Manngeburt nachgegangen. Habe mich vor anderen und vor mir entblösst und mich den nackten Tatsachen ungeschönt gestellt. Kannst du dir vorstellen, wie heilsam das auch für dich wäre? Am Ende lockt ein grosser Schritt in die Ganzwerdung, du wirst ein Wahrer Erwachsener. Und der Wahre Mann wird als König seine Wahre Erwachsene, seine Königin finden. Und dann gehen sie die weiteren Schritte gemeinsam. Als Vorwarnung muss gesagt sein, dass es auch anders rauskommen kann: Das nämlich, was nicht gesund ist, was die Entwicklung der Seele behindert statt unterstützt, das wird wegfallen. Wenn du König wirst, erwartest du eine Königin an deiner Seite. Wenn du auf dein Herz hörst, was dir gut tut, dann kann der Job als falsch erkannt werden. Die Risiken und Nebenwirkungen einer Manngeburt bestehen also darin, dass du erkennst, was für dich gut ist und dich von allem anderen trennst. Das kann das Ende von Beziehungen und Arbeitsverhältnissen und mehr bedeuten. Und die gute Nachricht: du wirst erkennen, dass es gut ist. Und du wirst schliesslich das finden, was dir zusteht und gut tut.

Ich danke Stefan von Herzen für seine heilsame Tätigkeit und dass er mir und uns auf diesem Weg geführt und gestützt hat. Ich danke seinen Assistenten, die dies unterstützt haben und den Manngeburtlern für ihr Dasein, ihre kraftvollen Umarmungen, ihre Offenheit und ihre Wärme. Und ich danke meinen Lieben für ihre bis in die Toskana spürbare Unterstützung. HOWGH!

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