Und nochmals der Liebhaber

Das letzte Wochenende der Manngeburt bedeutete den Abschluss der Beschäftigung mit den vier Archetypen, und es war zum zweiten Mal dem Liebhaber gewidmet, speziell der männlichen Sexualität. Stefan Wolff hatte mehrfach erklärt, dass die vertiefte Auseinandersetzung mit diesem heiklen Thema zu Beginn der Manngeburt nicht möglich sei. Dafür müsse man erst Vertrauen in die Methode und in die Gruppe gefasst haben. Und ja, ich kann nach dem Wochenende durchaus bestätigen, dass dies stimmt: Die vertiefte und offene Beschäftigung mit unserer Sexualität war tatsächlich eine Herausforderung…

Zwölf Männer zwischen 30 und 65 Jahren – was soll sie daran hindern, offen über ihre Sexualität zu sprechen? Wir alle leben sie, wir alle haben dabei Höhen und Tiefen erlebt – das ist ja wohl nicht so schwierig, oder? Details über die Übungen und die speziellen Herausforderungen mit denen Stefan Wolff uns mit unserer Sexualität konfrontierte, bleiben unter uns. Ich berichte nur darüber, was es in uns und in mir auslöste und was wir daraus gelernt haben. Wir stiegen ein mit der Geschichte unserer Sexualität. Von der Zeugung bis heute. Und natürlich gab es dabei die schon erwähnten Höhen und Tiefen: unschuldige oder auch eher verklemmte Versuche in der Jugend, missglückte erste Erfahrungen, heimliche Erlebnisse mit jüngeren und älteren Partnerinnen oder auch mit Männern, schneller Sex mit vielen, langsamen Sex mit der einen. Die Männer mit mehr Lebenserfahrung berichteten über längere Beziehungen mit nachlassendem Begehren, von gescheiterten Ehen, aber auch von neu entdeckten Formen der Sexualität, wie Slow-Sex oder conscious sex, Tantra und mehr. Öfters bekamen wir Geschichten zu hören von überhöhten Erwartungen, grossem Druck und einem Sexualleben, das mit viel Stress in der Partnerschaft verbunden ist. Wir hörten von Phasen der Impotenz und von vorzeitigem Orgasmus, was eine erfüllte Beziehung verhindern kann.

Und obschon viele von uns Männern grossen Respekt bis sogar Angst vor diesen Offenbarungen hatten, stellten wir uns alle der Herausforderung – und wurden mit viel Verständnis und Mitgefühl belohnt. Und diese Offenheit bewirkte, dass wir von den anderen Männern hörten, wie es ihnen ähnlich geht oder wie sie aus einer Krise gefunden haben, in der sich andere noch befinden. Ein Beispiel gab uns viel zu denken und auch später noch zu diskutieren: ein Paar fand aus einer Phase der Lustlosigkeit und aus einer tiefen Krise in der Beziehung heraus, indem es sich für neue Formen öffnete. In gegenseitigem Austausch und Einverständnis machten sie gemeinsame Erfahrungen mit Dritten, mit anderen Paaren. Wir fanden, dass dieser bewusste Weg, auf dem ein Paar gemeinsam eine ihm passende Form der Sexualität findet, eine sehr reife Leistung. Stefan ordnete dies in die beiden unabdingbaren Aspekte ein: Freiheit und Liebe. Es gibt keine Liebe ohne Freiheit.

O, ja, das kann ich aber fett unterstreichen und bestätigen. Freiheit bedeutet, dass man dem Partner vertraut, ihn nicht zu besitzen versucht. Dass man respektiert, dass der andere – und man selbst – eigenständige Wesen sind. Und nur wer in Freiheit zusammenkommt, der kann echte Liebe erleben. Ich habe selbst von früheren Beziehungen berichtet, die geprägt waren von Pflichterfüllung, von Bedürftigkeit. Die Bedürftigkeit war bei mir tief verborgen, wirkte sich aber in früheren Beziehungen extrem auf die Sexualität aus. Ich konnte kein Nein ertragen, denn es bedeutete eine Zurückweisung meiner ganzen Person. Wenn ich zurückgewiesen wurde, machte mich das traurig und wütend. Andererseits konnte ich in der Beziehung nicht direkt sagen, wenn ich Lust hatte. Wir fanden da keine gemeinsame Sprache. Auch bei der Fixierung auf den Orgasmus fanden wir sie nicht. Es kam der Moment, da ich für mich entdeckte, dass es mir eigentlich um etwas anderes ging bei der sexuellen Begegnung. Ich hätte gerne nur gefühlt, nur gestreichelt. Aber wir lebten unbewusst das alte Muster, da meine Partnerin davon ausging, dass ich ja ohnehin nur auf den Orgasmus aus sei, weil sie es selbst bei sich so erlebte. Und deshalb zurück zum Beispiel des Paares, das aus so einer Situation gemeinsam herausfand: Wenn wir – so wie wir es in der Manngeburt vor den 15 Männern (inklusive Assistenten) gemacht haben – offen und ehrlich über uns und unsere Wünsche und Ängste sprechen können, dann besteht eine Chance, dass wir gemeinsam eine Lösung finden. Und vielleicht etwas ganz Neues entdecken.

Stefan hat uns dann noch etwas theoretischen Hintergrund geliefert. Beim orgasmusfixierten Sex ist man(n) auf einen Dopamin-Kick aus. Dieser wirkt wie eine Droge und sorgt für eine entsprechende „Belohnung“ und schon bald für den Wunsch nach einem neuen Kick. Alternativ dazu kommt es beim Austausch von Zärtlichkeit zur Ausschüttung von Oxytocin. Dieses Hormon sorgt bei der stillenden Mutter für eine Bindung zum Kind (oder unterstützt sie zumindest). Wenn wir also Slow-Sex haben, wenn wir zärtlich zueinander sind, vertiefen wir unsere Verbindung zueinander.

In früheren Partnerschaften diente die sexuelle Begegnung oft als Stellvertreter für unbewusste Kämpfe. Wir erkannten die Wurzel der Probleme nicht, und dann fanden sie ihren Ausdruck in einer damit belasteten Sexualität. Wenn ich schon damals die Manngebut gemacht hätte, wäre ich wohl brutal durchgerüttelt worden – denn genau dies ist der Sinn und Zweck dieser Arbeit: Dass wir den Dingen auf den Grund gehen, dass wir uns das Unbewusste bewusst machen, es erkennen können. Und dann ist Heilung möglich.

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